might be go(o)d
GesichterDrüber
Der Text

Kennt ihr die schon?

ist eine Reaktion auf

Ich lieg im Bett schau bekifft den vierten oder fünften Eberhofer-Krimi.
„Um 20 Uhr geht das Los. Oder?“, schreibe ich Korby.
„Ja, aber jetzt han i koi vvk karte mehr - is aber net viel, machsch dir keene kopp“ schreibt er für
seine Verhältnisse schnell zurück und setzt hinter her: „also ich nehm dich gern trotzdem mit nei :)“.
Als sie mich gestern gefragt haben, war die Rede von Gästeliste. Ich hab eigentlich keine Lust.
Wird irgend so ein Pop Ding sein, der Benny Binder macht da wieder den Host. Ist ja schön und
nett, aber in der Regel nicht meine Musik.
Wenn ich jetzt auf der Gästeliste stände und keiner da Geld für mich zahlen muss, das ich selbst an
diesem Ende des Monats definitiv nicht mehr habe, wäre das das eine. Aber so... Ich würde eh
wahrscheinlich die Hälfte der Zeit draußen vor der Tür beim Rauchen sitzen, allein schon weil ich
mir drinnen höchstens ein Bier leisten kann. Da braucht keiner für zu zahlen.
Ich schreibe trotzdem zurück: „Alright, ich komm auf viertel vor mal zum Intro“. Wenn ich schon
eingeladen bin, will ich auch auftauchen, ich werd den anderen einfach fragen wie lang der Bums
geht und sie mich vor der Tür besuchen können.
Um mich wieder gesellschaftsfähig zu päppeln steige ich noch unter die Dusche, zieh meine
Lieblingsstiefel, die schwarzen Levi's, mein ärmelloses Television Shirt und die coole braune Jacke,
die mich immer an Phil erinnert. Rückblickend eine weise Entscheidung.
Natürlich verspäte ich mich, weil ich unterwegs unbedingt noch ein Bier holen muss. Weil ich beim
Duschen was ins Auge bekommen hab trage ich meine Brille nicht und da ich auf meinen
Kopfhörern nach langem Mal wieder Alles ist voll von Göttern höre, laufe ich die kleine Strecke
von Werder- bis Kronenplatz praktisch taub und blind. Ein interessantes Erlebnis, ganz schön trippy.
Am Kronenplatz laufe ich fast an Jonas und Schmon vorbei, die schon in Eile sind. Ich setze meine
Brille wieder auf, mein Auge hat sich wieder einigermaßen beruhigt, und versuche Schmon zu
erklären, dass ich keinen großen Bock hab und keiner Geld für mich zahlen braucht. Er bezahlt
währenddessen, entgegen meines Protests, für uns beide. Na spitze, jetzt muss ich rein...
Ich zeige auf das Bier in meiner Hand und sage, dass ich nachkomme, bevor ich mich auf die
Treppe vor der Tür setze. „Ausgezeichnet! Jetzt sitzt' da wie a Depp...“, der Eberhofer ist mir ins
Gehirn gesickert, meine Gedanken klingen wie die eines Niederbayrischen Dorfbullen.
Zwei schick gekleidete Mädels mit dickem asiatischen Akzent in ihrem Englisch kommen um's
Eck. „Ahh here it is! We gotta go in there!“. Sie beeilen sich schnell an mir vorbeizukommen, bevor
die Show beginnt. Ich sehe Ihnen einen kurzen Moment nach und wende mich dann wieder der
Straße und meinem Bier zu. Von drinnen höre ich Applaus und eine leise Männerstimme durch ein
Mikrophon.
Was ich von draußen hören kann ist keine Musik, kein Gesang. Eine leise, höfliche Männerstimme,
die spricht. Eine Ansage. Der Applaus ebbt ab, die Stimme hält an. Eine Minute, zwei Minuten...
keine Musik. Mehr Ansage. Und langsam geht mir ein Licht auf.
Zefix! Ewige Ansagen, die beiden englisch sprechenden Mädels in Abendgarderobe, stand da auf
der Webseite nicht irgendwas von Bestuhlt...? Das ist kein normales Pop-Konzert mit nervigen
Teenagern, die beseelt und außer sich vor der Bühne auf und ab hüpfen. Das ist ein Musikalischer
Abend mit Freunden, Angehörigen, Interessierten und einem fast Revue-artig.
Na Großartig! Zum Glück habe ich noch geduscht und nicht grade die verrupftesten Fetzen an.
Einerseits bin ich fast positiv überrascht, meine Kindheit bestand zu großen Teilen aus solchen
Abenden, sie versprechen demnach eine gewisse Art von Komfort und Geborgenheit. Andererseits
bin ich überhaupt nicht eingestellt auf eine Veranstaltung, bei der es sich zu benehmen gilt. Hätte
Schmon nicht schon für mich gezahlt würde ich jetzt abhauen. Oder wenigstens da hocken bleiben,
wo ich sitz'.
„Huift ja nix...“ denke ich mir, wie als müsste ich in die Arbeit gehen. Mein Bier ist auch beinahe
leer. Mir bleibt nichts, als reinzugehen. Ich leere mein Bier, zum dritten Song, den ich von meiner
Treppe aus hören kann und rappel mich hoch.
Seit Schmon rein ist hat das Personal am Einlass gewechselt und ich muss flüsternd meine
Situation erklären. Die Musik tröpfelt ruhig auf uns herab, während er seiner Kollegin schreibt ob
sie etwas über einen bereits gezahlten Eintritt weiß. Der Gesang hat tatsächlich was von einer
Revue, nur ein bisschen moderner mit Soul und R'n'B Elementen, schätze ich als Leihe.
Die Kollegin ist hinzugetreten und als „ der Schnitzel“, darf ich jetzt auch rein. Ein flüchtiger Blick
in den dunklen Veranstaltungsraum und ich weiß, dass ich erst gar nicht versuchen werde einen
Platz da drin zu bekommen. Ich setzte mich an die Theke im Foyer die Bühne auf fünf, das
Barpersonal auf elf Uhr und neben mir zwei schlaksige Gestalten in rosa Warnwesten. Irgendwo in
meinem Rücken läuft noch ein Typ im hellen Flanellhemd auf der Stelle. Er ist in sein Handy
vertieft und ich bekomme langsam das Gefühl, dass ich mich hier auf seinen Platz gesetzt hab.
Da die Barkräfte zu weit weg sind und nicht rüber schauen lass ich mich im Applaus nach dem
Song leise klatschend vom Stuhl gleiten und steuere die beiden an. Sie flüstern mir verschwörerisch
zu.
„Was darf's denn sein?“
„Ein Bier!“ flüstere ich zurück.
„Ein Bier?“
„Ein Großes!“
„Bitte?“
Bei unserem Flüsterton hat sie mich nicht ganz verstanden, ich reiße die Augen auf und die Hände
auseinander um ihr zu zeigen was ich mein.
„Grande!“
„Ah!“
Sie hat verstanden und flüstert nach dem abkassieren noch, „Viel Spaß!“. Ihr Kollege grinst sich
eins und flüster-ruft mir noch etwas ähnlich hinterher. Ich hebe den Daumen über die Schulter und
grinse ihm zu, während ich mich an einen Tisch etwas abseits setze.
Die Sängerin, die gerade auf der Bühne muss Sandrine Neye sein, wenn mich das Internet nicht
belügt. Und wenn sie und der Binder Benny nicht lügen in ihren Ansagen, dann singt sie ihre Songs
heute das erste Mal live. Zu sagen, dass man das merkt wäre ungerecht, doch wirkt sie in ihrem
auftreten teils doch ein wenig zurückgezogen, vielleicht vorsichtig? Nicht wirklich schüchtern,
höchstens ein kleines bisschen. In ihrem Gesang wirkt sie keine Spur unsicher, man merkt, dass sie
lange und viel singt. Viel mit diesen Obertönen, oder wie das heißt. Viel von diesem „Ya-La-Eh-He-
Yey!“, das mir diesen R'n'B Eindruck vermittelt. Wie bei so Maria Carey Weihnachtsalben oder
Whitney Huston. Ein Vorbild für sie, wie ich später im Internet lese.
Wie gesagt, nicht meine Musik. Der Sound scheint mir ein wenig dumpf, aber ein kurzer Blick auf
die Bühne sagt mir, dass es weder an Sandrine noch an ihrer Mikrohaltung liegen kann. Ihr Abstand
zum Mikro sieht gut aus und das Mikro steckt im Ständer, seltsam.
Viel Seltsamer scheinen mir allerdings die Pinkwesten. Auf den zweiten Blick erkenne ich auch
den Schriftzug „AWARENESS“ auf ihrem Rücken. Warum man auf dieser Veranstaltung ein
Awareness-Team braucht geht mir nicht ganz auf. Wenn wir mit Karlsifornia Rock-Veranstaltungen
mit besoffenen Metalheads machen versteh ich das ja irgendwo. Aber wer soll sich denn hier
daneben benehmen oder davon abgehalten werden? Glauben die etwa, dass da gleich fünf Neonazis
rein gerannt kommen, nur weil Sandrina einen leicht dunkleren Teint hat? Und was sollten diese
beiden Bohnenstangen dann dagegen machen?
Ich sehe mir die Leute an, die kurz auf's Klo schleichen. Damen im mittleren Alter, gepflegt,
elegant, vielleicht die Eltern eines beteiligten Künstlers. Als ich merke, dass ich die Leute schon
sehr eingehend mustere und gerade nur Frauen vorbeigekommen sind, ziehe ich schnell meine
Brille ab und lege das „Tatwerkzeug“ auf den Tisch vor mir. Sicher ist sicher, so kann keiner sagen
ich würde irgendwem nachstarren.
Naja, vielleicht ist das ja auch nur eine Form der Gleichbehandlung, wenn Awareness, dann immer
und überall. Mir soll's recht sein. Lieber Pinkwesten als Braunhemden.
Sandrine verlässt die Bühne und stellt sich an die Theke, neben den Kameramann, der die Show
schon die ganze Zeit unbeirrt filmt, da wo noch eben der Flanellhemd Typ auf und abgelaufen ist.
Der eilt hingegen auf die Bühne, die gerade von Helena Fin betreten wird. Er ist der Schlagzeuger,
der nicht bei jedem Song benötigt wird.
Bei Helena merkt man, dass das definitiv nicht ihr erstes Konzert ist. Sie wirkt souverän und
selbstbewusst in Ansagen und Auftreten. Tatsächlich macht sogar der Sound auf, was ich mir nicht
ganz erklären kann. Haben die dem Mischer gewechselt? Das Mikrofon? Jedenfalls klingt das jetzt
wesentlich heller und freier. Lauter und fetziger übrigens auch, was allerdings an den Songs liegt,
die mich mehr an Teenie-Deutschrap-Sommer-Pop erinnern. Sie ist auch ein wenig légerer in ihrem
Outfit. Diese XXXL-Shirt als Kleid, Stiefel Kombi, die man in letzter Zeit öfter sieht. Ist das nicht
diese Billie Eillish, die auch so rumläuft?
Benny erwähnt in der nächsten Ansage, dass beim nächsten Song eigentlich ein Rapper mitwirken
sollte, aber er jetzt einspringen muss, keine Überraschung hier.
„Wer Helena auf Instagram verfolgt, der hat's ja sicher schon mitgekriegt, der Song hat die Tage die
5 Milliarden...ääh... ich mein natürlich Millionen Aufrufe geknackt!“ Ich muss grinsen: „Ja, sicher!
5000 meint er wohl.“. Ich drehe mir eine Kippe und schleiche raus vor die Tür.
Mir gefällt es besser hier draußen. Ich kann rauchen, furzen und rülpsen, ohne dass sich jemand
dran stört, außerdem ist es ungewöhnlich still auf dem oft so lauten Kronenplatz und die Lichter der
Stadt glitzern so schön. Die Musik von drinnen kann man immer noch gut hören und ich nehme
mein Handy heraus. Ein kurzer Blick auf Instagram und es braucht nicht lange um Helenas Profil
x3Helena zu finden. Sie scheint sogar grade live zu sein. Ich tippe auf ihr umrandetes Profilbild und
sehe die Bühne die sich hinter der Wand befindet neben der ich sitze. Professionell, Professionell.
Ich gehe zurück auf ihr Profil und über den Linktree auf ihren Spotify-Account.
„Ja, leck mi am Oarsch!“, das mit den 5 Millionen aufrufen war kein Witz. Da hat wohl jemand
seinen Finger auf dem Puls der Zeit.
Ich gehe nochmal rein, aber vor der Pause gibt es nur noch eine Fragerunde...
Eine FRAGERUNDE?! Ich hätte mir die Veranstaltungsbeschreibung vielleicht doch mal
durchlesen sollen. Auf welchem Konzert gibt es denn eine Fragerunde? Na hier offensichtlich. Aber
für Fragerunden bin ich heute definitiv nicht aufgelegt. Benny fragt die Künstlerinnen nach
Lieblingswochentag, Lieblingsessen, bittet sie sich in 3 Worten zu beschreiben. Ich weiß nicht
warum das relevant wäre, aber gehört wohl zum Veranstaltungskonzept. Ich kann die Fragen aus
dem Publikum nicht verstehen, höre nur das Korby eine stellt, also gehe ich schnell auf's Klo und
dreh mir noch eine.
Der Applaus verebbt und die Treppe vor der Tür füllt sich. Die anderen aus dem Intro Team stoßen
zu mir. Alle sind sie emsig am Kippen drehen, nach einer 45 Minuten ohne drängt die Nikotinsucht.
Ich kann noch meine Wissenslücken zum Veranstaltungskonzept schließen und Bescheid geben, das
ich mir mein nächstes Bier beim Kiosk hole und draußen trink, bevor es wieder weitergeht und die
anderen rein müssen.
Scheint wohl eine Veranstaltungsreihe zu sein in der je zwei Künstler vorgestellt werden, die dann
jeder zwei Sets und einen Song des jeweils anderen spielen und eine Fragerunde über sich ergehen
lassen müssen.
Den zweiten Teil des Abends verbringe ich teils beim Kiosk, teils vor der Tür mit kleineren
Abstechern nach drinnen. Mir geht auf, dass die Künstler, die gerade nicht für einen Song gebraucht
werden sich genau da an der Bar versammeln, wo ich mich ursprünglich niedergelassen hatte und
dem Drummer seinen Platz geklaut hab. Wie sie alle da stehen, wenn ein Lied lediglich Klavier
Untermalung benötigt lässt mich an einen Fußballplatz denken und fast erwarte ich, dass einer von
Ihnen gleich „ABSEITS!!“ vom Spielfeldrand brüllt.
Es brüllt aber keiner. Es wird nur zum Schlussapplaus gejohlt und gepfiffen.
Alles in allem war es ein ziemlich angenehmer Abend. Lasst euch von meiner Abneigung gegen
Fragerunden und Pop-Musik nicht abschrecken. Solltet ihr Kulturbegeistert sein und euch für neue
Künstler aus dem Genre interessiert schaut euch so einen Abend ruhig mal an. Ich kann lediglich sagen,
dass das Konzept vielleicht nicht gerade für niederbayrische Dorf-Sheriffs und die, die sich bekifft
dafür halten gemacht ist.

Ich lieg im Bett schau bekifft den vierten oder fünften Eberhofer-Krimi.
„Um 20 Uhr geht das Los. Oder?“, schreibe ich Korby.
„Ja, aber jetzt han i koi vvk karte mehr - is aber net viel, machsch dir keene kopp“ schreibt er für
seine Verhältnisse schnell zurück und setzt hinter her: „also ich nehm dich gern trotzdem mit nei :)“.
Als sie mich gestern gefragt haben, war die Rede von Gästeliste. Ich hab eigentlich keine Lust.
Wird irgend so ein Pop Ding sein, der Benny Binder macht da wieder den Host. Ist ja schön und
nett, aber in der Regel nicht meine Musik.
Wenn ich jetzt auf der Gästeliste stände und keiner da Geld für mich zahlen muss, das ich selbst an
diesem Ende des Monats definitiv nicht mehr habe, wäre das das eine. Aber so... Ich würde eh
wahrscheinlich die Hälfte der Zeit draußen vor der Tür beim Rauchen sitzen, allein schon weil ich
mir drinnen höchstens ein Bier leisten kann. Da braucht keiner für zu zahlen.
Ich schreibe trotzdem zurück: „Alright, ich komm auf viertel vor mal zum Intro“. Wenn ich schon
eingeladen bin, will ich auch auftauchen, ich werd den anderen einfach fragen wie lang der Bums
geht und sie mich vor der Tür besuchen können.
Um mich wieder gesellschaftsfähig zu päppeln steige ich noch unter die Dusche, zieh meine
Lieblingsstiefel, die schwarzen Levi's, mein ärmelloses Television Shirt und die coole braune Jacke,
die mich immer an Phil erinnert. Rückblickend eine weise Entscheidung.
Natürlich verspäte ich mich, weil ich unterwegs unbedingt noch ein Bier holen muss. Weil ich beim
Duschen was ins Auge bekommen hab trage ich meine Brille nicht und da ich auf meinen
Kopfhörern nach langem Mal wieder Alles ist voll von Göttern höre, laufe ich die kleine Strecke
von Werder- bis Kronenplatz praktisch taub und blind. Ein interessantes Erlebnis, ganz schön trippy.
Am Kronenplatz laufe ich fast an Jonas und Schmon vorbei, die schon in Eile sind. Ich setze meine
Brille wieder auf, mein Auge hat sich wieder einigermaßen beruhigt, und versuche Schmon zu
erklären, dass ich keinen großen Bock hab und keiner Geld für mich zahlen braucht. Er bezahlt
währenddessen, entgegen meines Protests, für uns beide. Na spitze, jetzt muss ich rein...
Ich zeige auf das Bier in meiner Hand und sage, dass ich nachkomme, bevor ich mich auf die
Treppe vor der Tür setze. „Ausgezeichnet! Jetzt sitzt' da wie a Depp...“, der Eberhofer ist mir ins
Gehirn gesickert, meine Gedanken klingen wie die eines Niederbayrischen Dorfbullen.
Zwei schick gekleidete Mädels mit dickem asiatischen Akzent in ihrem Englisch kommen um's
Eck. „Ahh here it is! We gotta go in there!“. Sie beeilen sich schnell an mir vorbeizukommen, bevor
die Show beginnt. Ich sehe Ihnen einen kurzen Moment nach und wende mich dann wieder der
Straße und meinem Bier zu. Von drinnen höre ich Applaus und eine leise Männerstimme durch ein
Mikrophon.
Was ich von draußen hören kann ist keine Musik, kein Gesang. Eine leise, höfliche Männerstimme,
die spricht. Eine Ansage. Der Applaus ebbt ab, die Stimme hält an. Eine Minute, zwei Minuten...
keine Musik. Mehr Ansage. Und langsam geht mir ein Licht auf.
Zefix! Ewige Ansagen, die beiden englisch sprechenden Mädels in Abendgarderobe, stand da auf
der Webseite nicht irgendwas von Bestuhlt...? Das ist kein normales Pop-Konzert mit nervigen
Teenagern, die beseelt und außer sich vor der Bühne auf und ab hüpfen. Das ist ein Musikalischer
Abend mit Freunden, Angehörigen, Interessierten und einem fast Revue-artig.
Na Großartig! Zum Glück habe ich noch geduscht und nicht grade die verrupftesten Fetzen an.
Einerseits bin ich fast positiv überrascht, meine Kindheit bestand zu großen Teilen aus solchen
Abenden, sie versprechen demnach eine gewisse Art von Komfort und Geborgenheit. Andererseits
bin ich überhaupt nicht eingestellt auf eine Veranstaltung, bei der es sich zu benehmen gilt. Hätte
Schmon nicht schon für mich gezahlt würde ich jetzt abhauen. Oder wenigstens da hocken bleiben,
wo ich sitz'.
„Huift ja nix...“ denke ich mir, wie als müsste ich in die Arbeit gehen. Mein Bier ist auch beinahe
leer. Mir bleibt nichts, als reinzugehen. Ich leere mein Bier, zum dritten Song, den ich von meiner
Treppe aus hören kann und rappel mich hoch.
Seit Schmon rein ist hat das Personal am Einlass gewechselt und ich muss flüsternd meine
Situation erklären. Die Musik tröpfelt ruhig auf uns herab, während er seiner Kollegin schreibt ob
sie etwas über einen bereits gezahlten Eintritt weiß. Der Gesang hat tatsächlich was von einer
Revue, nur ein bisschen moderner mit Soul und R'n'B Elementen, schätze ich als Leihe.
Die Kollegin ist hinzugetreten und als „ der Schnitzel“, darf ich jetzt auch rein. Ein flüchtiger Blick
in den dunklen Veranstaltungsraum und ich weiß, dass ich erst gar nicht versuchen werde einen
Platz da drin zu bekommen. Ich setzte mich an die Theke im Foyer die Bühne auf fünf, das
Barpersonal auf elf Uhr und neben mir zwei schlaksige Gestalten in rosa Warnwesten. Irgendwo in
meinem Rücken läuft noch ein Typ im hellen Flanellhemd auf der Stelle. Er ist in sein Handy
vertieft und ich bekomme langsam das Gefühl, dass ich mich hier auf seinen Platz gesetzt hab.
Da die Barkräfte zu weit weg sind und nicht rüber schauen lass ich mich im Applaus nach dem
Song leise klatschend vom Stuhl gleiten und steuere die beiden an. Sie flüstern mir verschwörerisch
zu.
„Was darf's denn sein?“
„Ein Bier!“ flüstere ich zurück.
„Ein Bier?“
„Ein Großes!“
„Bitte?“
Bei unserem Flüsterton hat sie mich nicht ganz verstanden, ich reiße die Augen auf und die Hände
auseinander um ihr zu zeigen was ich mein.
„Grande!“
„Ah!“
Sie hat verstanden und flüstert nach dem abkassieren noch, „Viel Spaß!“. Ihr Kollege grinst sich
eins und flüster-ruft mir noch etwas ähnlich hinterher. Ich hebe den Daumen über die Schulter und
grinse ihm zu, während ich mich an einen Tisch etwas abseits setze.
Die Sängerin, die gerade auf der Bühne muss Sandrine Neye sein, wenn mich das Internet nicht
belügt. Und wenn sie und der Binder Benny nicht lügen in ihren Ansagen, dann singt sie ihre Songs
heute das erste Mal live. Zu sagen, dass man das merkt wäre ungerecht, doch wirkt sie in ihrem
auftreten teils doch ein wenig zurückgezogen, vielleicht vorsichtig? Nicht wirklich schüchtern,
höchstens ein kleines bisschen. In ihrem Gesang wirkt sie keine Spur unsicher, man merkt, dass sie
lange und viel singt. Viel mit diesen Obertönen, oder wie das heißt. Viel von diesem „Ya-La-Eh-He-
Yey!“, das mir diesen R'n'B Eindruck vermittelt. Wie bei so Maria Carey Weihnachtsalben oder
Whitney Huston. Ein Vorbild für sie, wie ich später im Internet lese.
Wie gesagt, nicht meine Musik. Der Sound scheint mir ein wenig dumpf, aber ein kurzer Blick auf
die Bühne sagt mir, dass es weder an Sandrine noch an ihrer Mikrohaltung liegen kann. Ihr Abstand
zum Mikro sieht gut aus und das Mikro steckt im Ständer, seltsam.
Viel Seltsamer scheinen mir allerdings die Pinkwesten. Auf den zweiten Blick erkenne ich auch
den Schriftzug „AWARENESS“ auf ihrem Rücken. Warum man auf dieser Veranstaltung ein
Awareness-Team braucht geht mir nicht ganz auf. Wenn wir mit Karlsifornia Rock-Veranstaltungen
mit besoffenen Metalheads machen versteh ich das ja irgendwo. Aber wer soll sich denn hier
daneben benehmen oder davon abgehalten werden? Glauben die etwa, dass da gleich fünf Neonazis
rein gerannt kommen, nur weil Sandrina einen leicht dunkleren Teint hat? Und was sollten diese
beiden Bohnenstangen dann dagegen machen?
Ich sehe mir die Leute an, die kurz auf's Klo schleichen. Damen im mittleren Alter, gepflegt,
elegant, vielleicht die Eltern eines beteiligten Künstlers. Als ich merke, dass ich die Leute schon
sehr eingehend mustere und gerade nur Frauen vorbeigekommen sind, ziehe ich schnell meine
Brille ab und lege das „Tatwerkzeug“ auf den Tisch vor mir. Sicher ist sicher, so kann keiner sagen
ich würde irgendwem nachstarren.
Naja, vielleicht ist das ja auch nur eine Form der Gleichbehandlung, wenn Awareness, dann immer
und überall. Mir soll's recht sein. Lieber Pinkwesten als Braunhemden.
Sandrine verlässt die Bühne und stellt sich an die Theke, neben den Kameramann, der die Show
schon die ganze Zeit unbeirrt filmt, da wo noch eben der Flanellhemd Typ auf und abgelaufen ist.
Der eilt hingegen auf die Bühne, die gerade von Helena Fin betreten wird. Er ist der Schlagzeuger,
der nicht bei jedem Song benötigt wird.
Bei Helena merkt man, dass das definitiv nicht ihr erstes Konzert ist. Sie wirkt souverän und
selbstbewusst in Ansagen und Auftreten. Tatsächlich macht sogar der Sound auf, was ich mir nicht
ganz erklären kann. Haben die dem Mischer gewechselt? Das Mikrofon? Jedenfalls klingt das jetzt
wesentlich heller und freier. Lauter und fetziger übrigens auch, was allerdings an den Songs liegt,
die mich mehr an Teenie-Deutschrap-Sommer-Pop erinnern. Sie ist auch ein wenig légerer in ihrem
Outfit. Diese XXXL-Shirt als Kleid, Stiefel Kombi, die man in letzter Zeit öfter sieht. Ist das nicht
diese Billie Eillish, die auch so rumläuft?
Benny erwähnt in der nächsten Ansage, dass beim nächsten Song eigentlich ein Rapper mitwirken
sollte, aber er jetzt einspringen muss, keine Überraschung hier.
„Wer Helena auf Instagram verfolgt, der hat's ja sicher schon mitgekriegt, der Song hat die Tage die
5 Milliarden...ääh... ich mein natürlich Millionen Aufrufe geknackt!“ Ich muss grinsen: „Ja, sicher!
5000 meint er wohl.“. Ich drehe mir eine Kippe und schleiche raus vor die Tür.
Mir gefällt es besser hier draußen. Ich kann rauchen, furzen und rülpsen, ohne dass sich jemand
dran stört, außerdem ist es ungewöhnlich still auf dem oft so lauten Kronenplatz und die Lichter der
Stadt glitzern so schön. Die Musik von drinnen kann man immer noch gut hören und ich nehme
mein Handy heraus. Ein kurzer Blick auf Instagram und es braucht nicht lange um Helenas Profil
x3Helena zu finden. Sie scheint sogar grade live zu sein. Ich tippe auf ihr umrandetes Profilbild und
sehe die Bühne die sich hinter der Wand befindet neben der ich sitze. Professionell, Professionell.
Ich gehe zurück auf ihr Profil und über den Linktree auf ihren Spotify-Account.
„Ja, leck mi am Oarsch!“, das mit den 5 Millionen aufrufen war kein Witz. Da hat wohl jemand
seinen Finger auf dem Puls der Zeit.
Ich gehe nochmal rein, aber vor der Pause gibt es nur noch eine Fragerunde...
Eine FRAGERUNDE?! Ich hätte mir die Veranstaltungsbeschreibung vielleicht doch mal
durchlesen sollen. Auf welchem Konzert gibt es denn eine Fragerunde? Na hier offensichtlich. Aber
für Fragerunden bin ich heute definitiv nicht aufgelegt. Benny fragt die Künstlerinnen nach
Lieblingswochentag, Lieblingsessen, bittet sie sich in 3 Worten zu beschreiben. Ich weiß nicht
warum das relevant wäre, aber gehört wohl zum Veranstaltungskonzept. Ich kann die Fragen aus
dem Publikum nicht verstehen, höre nur das Korby eine stellt, also gehe ich schnell auf's Klo und
dreh mir noch eine.
Der Applaus verebbt und die Treppe vor der Tür füllt sich. Die anderen aus dem Intro Team stoßen
zu mir. Alle sind sie emsig am Kippen drehen, nach einer 45 Minuten ohne drängt die Nikotinsucht.
Ich kann noch meine Wissenslücken zum Veranstaltungskonzept schließen und Bescheid geben, das
ich mir mein nächstes Bier beim Kiosk hole und draußen trink, bevor es wieder weitergeht und die
anderen rein müssen.
Scheint wohl eine Veranstaltungsreihe zu sein in der je zwei Künstler vorgestellt werden, die dann
jeder zwei Sets und einen Song des jeweils anderen spielen und eine Fragerunde über sich ergehen
lassen müssen.
Den zweiten Teil des Abends verbringe ich teils beim Kiosk, teils vor der Tür mit kleineren
Abstechern nach drinnen. Mir geht auf, dass die Künstler, die gerade nicht für einen Song gebraucht
werden sich genau da an der Bar versammeln, wo ich mich ursprünglich niedergelassen hatte und
dem Drummer seinen Platz geklaut hab. Wie sie alle da stehen, wenn ein Lied lediglich Klavier
Untermalung benötigt lässt mich an einen Fußballplatz denken und fast erwarte ich, dass einer von
Ihnen gleich „ABSEITS!!“ vom Spielfeldrand brüllt.
Es brüllt aber keiner. Es wird nur zum Schlussapplaus gejohlt und gepfiffen.
Alles in allem war es ein ziemlich angenehmer Abend. Lasst euch von meiner Abneigung gegen
Fragerunden und Pop-Musik nicht abschrecken. Solltet ihr Kulturbegeistert sein und euch für neue
Künstler aus dem Genre interessiert schaut euch so einen Abend ruhig mal an. Ich kann lediglich sagen,
dass das Konzept vielleicht nicht gerade für niederbayrische Dorf-Sheriffs und die, die sich bekifft
dafür halten gemacht ist.

September 29, 2023
Gonzo

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